Sophie de Torrentbourg
Auszug aus dem Roman
Hintergrund dieses imaginären Soundtracks bildet der Roman über drei Generationen der Familie de Torrentbourg, eine Einwandererfamilie aus Frankreich, die sich 1851 in Deutschland in Trebendorf ansiedelte, sich zu einer mächtigen Dynastie im ersten Weltkrieg entwickelte und einen tiefen Fall im zweiten Weltkrieg erlebte.
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Der dreiteilige Roman erstreckt sich über das Leben von Samuel de Torrentbourg, dem Grossvater, der den Grundstein für den späteren Reichtum legte, seinem Sohn Ludwig von Torenberg, der die Familie in die oberste Gesellschaft hob, und endet im dritten Teil mit dem Leben von Ludwigs Tochter Sophie, die die Folgen dieser Entwicklung am eigenen Leib erfahren musste. Der erste Teil des Romans beginnt mit der mutigen Entscheidung des Grossvaters Samuel, in Produktionsmaschinen zu investieren.
Die Torrentbourgs hatten in Frankreich während der Phase der staatlichen Anerkennung der Juden beträchtlichen Wohlstand erlangt. Als die Industrialisierung im frühen 19. Jahrhundert Fahrt aufnahm, investierte Samuel de Torrentbourg gemeinsam mit seinem Bruder Seraphin in die maschinengetriebene Flachsspinnerei, einen Industriezweig, der obwohl anfänglich nur zehn Prozent der Flachsverarbeitung ausmachte, wesentlich effizienter und kostengünstiger produzieren konnte. Dank Samuels Geschäftssinn florierte die Firma „moulin à lin“ rasch. Doch die Diskrepanz zwischen den Brüdern war unüberbrückbar. Während Samuel hart arbeitete und seine Pläne umsetzen wollte, lebte Seraphin als Bonvivant und nutzte die Firma als Geldquelle für seine ausschweifenden Vergnügungen.
Als Sorau in Preussen zu einem wichtigen Textilindustriestandort wurde, verkaufte Samuel die Firma an Auguste Bonnet und zog nach Deutschland. Seraphin ging leer aus. Er schwor, Vergeltung für die vermeintliche Ungerechtigkeit zu üben. Dieses Zerwürfnis zwischen den beiden Brüdern markierte den Anfang eines verhängnisvollen Verlaufs, der letztendlich in eine Tragödie endete.
Samuel liess sich in Trebendorf nieder, kaufte eine Flachsspinnerei in Sorau und modernisierte sie erfolgreich. Mit einem weiteren Teil seines Vermögens erwarb er günstiges Land am Halbendorfer See, baute eine Prunkvilla und verwandelte das Anwesen in einen einzigartigen Erlebnispark. Er änderte seinen Namen in „von Torenberg“, heiratete eine Katholikin und integrierte sich in die deutsche Gesellschaft. Seine beiden Söhne kamen zur Welt und er gab ihnen die Namen Siegfried und Ludwig. Nichts deutete mehr auf seine jüdische Herkunft hin.
Den letzten Teil seines Vermögens behielt er für das, was die Familie schliesslich zu einem ungewöhnlichen Reichtum und Ansehen brachte. Er wusste Bescheid um die vier zentralen Ingredienzien für Reichtum und Macht: eine ausgewogene Mischung aus Geld, Politik und Diskretion, angewendet im Bereich der Waffenindustrie.
Sein prunkvoller Landsitz erwies sich als die ideale Plattform. Hier organisierte er im Laufe der Zeit wöchentliche Treffen von Industriellen, bei denen ein feines Mittagessen, Gesellschaftsspiele und Musik geboten wurden. Die anfänglich kleine Anzahl von Herren wuchs rasch, und es entwickelte sich zu einem der wenigen Orte, an denen nicht nur Geselligkeit, sondern auch der Austausch wichtiger Informationen im Vordergrund stand.
Eine schicksalhafte Weichenstellung in seinem Leben erfolgte am 24. März 1859, an dem wöchentlichen Donnerstagstreffen. An diesem Tag erschien in Begleitung eines engen Bekannten von Samuel der Kriegs- und Marineminister Albrecht von Roon. Dieser war von Wilhelm I. beauftragt, eine Heeresreform durchzuführen. Zu dieser Zeit tobten die Konflikte zwischen Österreich, Frankreich und Italien: die Modernisierung und Aufrüstung der Armee stand im Mittelpunkt.
Von Roon war an dem Tag der Mittelpunkt der Gesellschaft. Er wurde von allen in Anspruch genommen. Jeder brachte Ideen, wie die Armee modernisiert werden sollte. Die einen bevorzugten gezogene Gewehre mit Zündnadel-Hinterladern, die anderen gezogene Geschützrohre. Andere empfahlen Brisanzgranaten. Es war ziemlich laut.
Samuel wollte unbedingt allein mit von Roon sprechen. Er liess leise Kammermusik spielen damit alle Platz nehmen mussten. Dann fragte er ihn, ob er nicht den neuen Gartenbereich gemeinsam besichtigen möchte. Die beiden Männer gingen nach draussen in die Stille und setzten sich auf eine der Bänke. Von Roon zündete sich seine Pfeife an. Samuel fasste Mut und brach das Schweigen: „Die Finanzierung der Modernisierung könnte ein Problem darstellen. Haben Sie das bedacht?“ Ein verzweifelter Seufzer war zu hören: „In der Tat. Die Bestellung von dreihundert Kanonen müsste ich eigentlich sofort aufgeben können. Doch ob sie bewilligt wird und ob ich das nötige Geld erhalten werde, steht noch aus. Die Regierung hat noch keine Entscheidung getroffen, und ich weiss nicht, wann dies geschehen wird oder ob überhaupt.“ Aha, dachte Samuel, es handelt sich also um Kanonen. Um dreihundert sogar!
Er ging das Wagnis ein: „Und was ist, wenn ich die Erstfinanzierung übernehme?“ Von Roon reagierte erstaunt: „Das würden Sie für mich tun?“ „Nein“, Samuel schüttelte den Kopf, „ich tue es nicht für Sie, ich tue es für mein Land.“ „Sie sind sich aber schon bewusst, dass dies ein grosses Risiko ist, falls der Antrag nicht bewilligt wird.“ Samuel zog die Achseln hoch und fuhr fort: „Tja, dann habe ich halt ein Dutzend Kanonen zuhause und kann mich jeden Tag damit wecken lassen.“ Die beiden Männer lachten herzhaft. Von Roon wurde jetzt ernst: „Das wäre die einzige Lösung, wenn Sie die Erstfinanzierung übernehmen. Natürlich gegen entsprechende Entschädigung“, bemerkte er bedacht. „Ich nehme an, dass Ihnen vollkommen bewusst ist, dass die Regierung von Krupp nicht so erfreut ist. Seine Version der Hinterlader-Kanonen, die er uns im letzten Jahr angeboten hat, war völlig unzuverlässig. Dieses Fiasko steckt immer noch in den Köpfen der Regierung. Das hat sich überall herumgesprochen“. Nur bei Samuel nicht. Er schluckte: „Ja, das weiss ich“, log er. Jetzt konnte er nicht mehr zurück. „Ich habe gehört“, fuhr von Roon fort, „er soll jetzt Vorderlader aus Stahl produziert haben. Diese sollen hervorragend sein, schlichtweg unübertreffbar. Torenberg, ich will diese als Erster haben. Man weiss nie, wie sich das mit den Dänen entwickeln wird.“ Für einen Moment herrschte Stille in der Luft.
„Lieber Albrecht“, Samuel wagte diese Anrede, „Ich übernehme es. Und was die Höhe der Entschädigung angeht, das überlasse ich Ihnen.“ Von Roon zögerte kurz, stand anschliessend auf und war sichtlich erleichtert als sich die Hände der beiden Männer trafen. Sie gingen gemeinsam wieder rein. Wenn alles gut geht, dachte Samuel, könnte dieser Tag der Beginn einer langanhaltenden engen Verbindung zwischen uns sein.
Bereits am nächsten Tag stand Samuel in Alfred Krupp’s Büro. Krupp sass hinter einem schlichten Pult und war eifrig mit dem Unterschreiben von Dokumenten beschäftigt. „Ich interessiere mich für Ihre Kanonen und möchte eine Bestellung aufgeben“, begann Samuel. Krupp erkannte rasch, dass es sich bei Samuel nur um einen Mittelsmann handeln konnte. Er redete offen: „Ach, vergessen Sie die Kanonen“, erwiderte er mit einer abweisenden Handbewegung. „Sie kommen zu spät. Wir haben entschieden, die Kanonenproduktion einzustellen.“ Samuel liess nicht locker: „Was müsste ich unternehmen, damit Sie trotzdem Kanonen liefern“. Krupp lehnte sich zurück, drehte sich langsam Richtung Fenster und schaute enttäuscht in die Ferne. „Tja, ich will nicht unhöflich sein, verehrter von Torenberg, aber wenn Sie mir eine Bestellung über 100 Kanonen geben, dann kann ich es mir anders überlegen.“. „Das klingt ja gut“, erwiderte Samuel, „ich werde Ihnen sogar eine Bestellung über 300 Kanonen bringen.“ Krupp wandte sich überrascht Samuel zu, und erst jetzt betrachtete er ihn genauer. Samuel wusste, wie er jetzt als entschlossener Geschäftsmann zu reagieren hat: „Ich werde Ihnen diesen Auftrag über dreihundert Kanonen vermitteln“, er tippte mit den Fingern auf den Tisch, „und damit Sie mir glauben, wie ernst es mir ist, werde ich die Erstfinanzierung selber übernehmen, so dass Sie mit der Auslieferung sofort beginnen können.“ Er wartete einige taktische Sekunden, bevor er mit dem für ihn Wichtigsten fortfuhr: „Und was meine Entschädigung angeht; ich erwarte eine Provision von zehn Prozent“, schloss er bestimmt ab. Er nahm sich ausreichend Zeit, um langsam eine Zigarre aus seiner Westentasche zu ziehen – Zeit, um das Gesagte wirken zu lassen.
Krupp schien in Gedanken versunken zu sein. Unverschämt, was dieser Typ verlangte. Doch andererseits sah er darin die grosse Chance, das Kanonengeschäft doch noch zum Erfolg zu führen. Zwar war der Prozentsatz ungewöhnlich hoch, doch Krupp war ein hervorragender Rechner und Visionär: „Wenn Sie die Erstfinanzierung übernehmen, dann werden wir die Kanonenproduktion wieder hochfahren“, Krupp schaute dabei tief in Samuels Augen. Dieser hielt seinem durchdringenden Blick stand. Sichtlich zufrieden erhob sich Krupp schliesslich und trat mit einem Schmunzeln auf Samuel zu, woraufhin sich die beiden die Hände reichten. „Das Geld, Alfried“, Samuel wagte wieder diese Anrede, „werde ich Ihnen persönlich übergeben. Keine Bank, keine Belege, absolute Diskretion.“ „Einverstanden, ich erwarte es nächste Woche“, war die Antwort.
Als er die Tür erreichte, drehte Samuel sich noch einmal um, um beiläufig zu fragen: „Wann werden Sie mit der Auslieferung beginnen? Nächsten Monat?“ „Nächsten Monat?“, Krupp schnaufte und schüttelte den Kopf, „die neue Vorderlader-Version existiert lediglich in meinem Kopf und muss zuerst noch skizziert werden.“ Er war stets ehrlich. Krupp merkte nicht wie Samuel kurz zusammenzuckte. „Aber keine Sorge, Samuel“, fuhr er fort. Auch er verstand es zu überzeugen: „Dank Ihrer Mitfinanzierung wird es ein Erfolg!“
Samuel befand sich bereits auf der breiten, gross angelegten Wendeltreppe im obersten Stockwerk, die ihn tief hinabführen sollte. Er schwankte, sein Herz pochte laut. Gedanken schossen wie Blitze durch seinen Kopf. In was hatte er sich da nur hineinmanövriert? Die Kanonen existieren ja gar nicht. Und was, wenn auch diese untauglich sind? Wenn die Entscheidung der Regierung sich verzögert? Ihm wurde schwindlig. Die Zahlung muss verzögert werden! So viel Geld besass er gar nicht. Was, wenn die Regierung den Antrag ablehnt? Ihm wurde kalt. Er würde alles verlieren, was er aufgebaut hatte. Welches Schicksal erwartete ihn? War es eine Vergeltung, ein Fluch? Seraphin? Er zitterte, klammerte sich am Handlauf fest, stieg erschöpft die Treppen hinunter und trat ins Freie. Draussen war es dunkel und windig…